Der aktuelle Umwelt-Kommentar

Mittwoch, August 09, 2006

Stehst du auch immer so früh auf?

Neulich mal wieder über Personen gewundert, die im ÖPNV* bereits an der Haltestelle aufstehen, die vor der Ausstiegshaltestelle ihrer Wahl liegt.

Wenn das Verkehrsmittel voll ist, könnte man durchaus meinen, es handele sich um eine Vorsichtsmaßnahme, um im allgemeinen - meist unhöflichen - Gedrängel den Ausstieg nicht zu verpassen. Aber dieses Phänomen spielt sich auch in gähnend leeren Bussen, Bahnen, Fähren und was der Büchsen mehr sind, ab.

Ist es also Vorfreude, die die Passagiere frühzeitig von den eigens angewärmten Sitzen treibt? Oder das Bedürfnis, bereits frühzeitig das Statement "Hallo, ich steige übrigens an der nächsten Haltestelle aus." abzugeben, so daß sich andere Passagiere mental darauf einstellen können? Also im Grunde eine Form von Mitteilungsbedürfnis?

Man weiß es nicht. Ich jedenfalls interessiere mich auf meinen Lesereisen zur und von der Arbeit sehr dafür; es lenkt so herrlich von der Lektüre ab. Und dazu kommt, daß ich im Stillen meinem wohlgepflegten Kopfschütteltrieb nachgehen kann ob des Unverständnisses angesichts solchen Verhaltens.

Meine Theorie lautet ja, daß vielen Menschen einfach eine gewisse innere Ruhe fehlt. Und zwar auf Lebenszeit. Anstatt immer die Situation, in der sie sich gerade befinden, bewußt zu erleben und zu reflektieren, ob die eigene Handlung überhaupt einen Sinn hat, denken viele gar nicht darüber nach.

Das manifestiert sich am besten beim Ein- und Ausstiegsvorgang selbst - meine persönliche Lieblingsszene, in der ich manchmal sogar selbst zum Akteur werde. Die Logik beim Ein- und Aussteigen ist ja - ethnisch unabhängig - folgende: Ist ein Verkehrsmittel voll, und es wollen Personen ein- und aussteigen, so können die Insassen den Einsteigenden mehr Platz schaffen, indem sie zuerst aussteigen. So weit, so gut.

Nun verhält es sich aber bei ca. 98% aller von mir beobachteten Vorgänge dieser Art so, daß sich beim Öffnen der Tür zwei Fronten gegenüberstehen. Die sich innerhalb kürzester Zeit verhärten und dann nach beidseitigen Antäuschmanövern unter strengster Vermeidung von Blickkontakt in Bewegung setzen (von sprachlichem Kommunikationsunwillen sei hier erst gar nicht die Rede). Nicht selten kommt es dabei zu Fast-Kollisionen, die umso mehr Unwillen bei mindestens einem der Kontrahenten aufkommen lassen. Beim anderen dann nicht, falls es sich um einen Passanten mit besonders dickem Problembärenfell handelt. Der nimmt in diesem Falle die Rolle des blockadesprengenden Panzers ein.

Koreographiert, wie der ganze Tanz wirkt, ist es - wie immer - des einen Freud', des and'ren Leid. Ich zähle mich eigentlich zu ersteren, da ich mich darüber immer amüsieren kann. Auch, wenn ich selbst auf dem Parkett stehe. Besonderen Spaß bereitet es mir, meinen inneren Ché auszuleben: Dann mache ich mich als Aussteigender extra breit und versuche, meinem Anliegen durch Körperhaltung Geltung zu verschaffen. Als Einsteigender versuche ich, einen Spalier entstehen zu lassen, indem ich möglichst nahe an der Türflanke stehe und die nachfolgenden Passanten blockiere. Nett gedacht, bleiben diese Versuche allerdings leider meist erfolglos. Dank der nahezu unglaublichen Ignoranz und dem - ich weiß nicht, was schlimmer ist - absoluten Mangel an Höflichkeit und menschlichem Verhalten.

Aber wie sagt ein Kollege immer: "Sei froh, daß es [nur; Anm. d. Verf.] solche Leute gibt. Andernfalls wäre die Welt langweilig - stell' dir doch mal so 'ne völlige Reibungslosigkeit vor. Wenn alles immer nur klappt." Naja - einerseits kann ich ihn gut verstehen, und es gibt mir auch die nötige Kraft, den Alltag im ÖPNV zu überstehen. Aber andererseits ... so eine Reibungslosigkeit muß schon toll sein - jetzt mal rein vom ingenieurwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, natürlich.

(*: Öffentlicher Personennahverkehr)